an sich
Als Menschen sind wir in der Lage, Muster zu erkennen. Unser Gehirn versucht permanent, uns mit einem möglichst schlüssigen »Bild« unserer Umwelt zu versorgen, das unseren Erwartungen entspricht. Es ergänzt Informationen, wo zu wenige vorhanden sind und greift dabei auf einen großen Fundus an Erfahrungen zurück. Entsprechend tut es sich schwer damit, Zufall oder Chaos als das zu akzeptieren, was es ist und findet auch im Widersprüchlichen und offensichtlich Zusammenhangslosen Verbindungen. Erst diese Mechanismen ermöglichen eine abstrakte Intelligenz.
Doch wie funktioniert dieser Prozess, der der Unordnung einen Sinn verleiht? Wo liegen seine Grenzen und wo möglicherweise ungenutzte Potenziale? Mit diesen Fragen setzt sich das entwickelte performative Exponat anhand von Sprache als direkteste Form der Kommunikation auseinander.
Die französischen Philosophen Gilles Deleuze und Felix Guattari gehen mit ihrem Modell des »Rhizoms« davon aus, dass alles mit allem in Verbindung steht. Sie entwickeln ein Modell, das hierarchischen Strukturen entgegen nach Abkürzungen und Umwegen sucht. Ein Konstrukt, das es ermöglicht, Verbindungen zu erkennen, die nicht offensichtlich sind. Diese Vorgänge nennen sie »Rhizom machen«.
Deutsche Gedichte werden fragmentiert und damit dekonstruiert, um anschließend rekombiniert, aneinandergereiht, vorgelesen und zeitgleich ausgedruckt zu werden. Unabhängig von den Vorstellungen und Erwartungen entsteht der Sinn der Arbeit in den Zwischenräumen, den intuitiven Gedanken, die bei dieser vielschichtigen Erfahrung zustande kommen. Die gedruckten Zettel werden im Moment ihrer Zettelwerdung zu einem nichtlinearen Gedächtnis des Geschehenen und sind zugleich eine Aufforderung an den Besucher, selbst zum Kuratoren oder Autoren und damit aktiver Bestandteil des Exponats zu werden. Sie sind eine Aufforderung »Rhizom zu machen«. Die turbulent fallenden Zettel erzeugen eine eigene kinetische Ästhetik und rhythmisieren den Sprachfluss.
Der Zugang erfolgt nicht rein intellektuell, sondern primär emotional-intuitiv – jenseits von Erwartungen entstehen Sinnabschnitte und Muster in diesem Fluss aus Informationsfragmenten. Er bleibt in seiner Rezeption individuell und zeigt so, dass Erkenntnisgewinn nicht von gewohnten Strukturen und Mechanismen wie beispielsweise Linearität oder Dialektik abhängen muss. Es wird möglich, zu erkennen, dass Botschaft und Relevanz eines Textes einzigartig sein können und ermutigt dazu, mit einer gewissen Leichtigkeit nach diesen Botschaften zu suchen. Letztlich wird etwas verstanden, das nicht gemacht wurde, um auf eine bestimmte Weise verstanden zu werden.
Entstanden 2015 als Diplomarbeit am Fachbereich Gestaltung der Hoschschule Darmstadt unter Betreuung von Prof. Sabine Zimmermann und Su Korbjuhn.
Fotografie: Ursula Raapke